#GuteMilch: Die Milch in Zeiten von Corona

27.04.2020 - Die Corona-Pandemie trifft auch die Milchbranche mit voller Wucht und zeigt die Fragilität des ‚Systems Milch‘. Denn die erzeugte Milch gerät unter Kostendruck auch als Folge der Übermengen im globalen Handel. Slow Food unterstützt daher die Forderung des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM), nach einer freiwilligen Mengenreduktion gegen Ausgleichszahlungen und fordert zugleich einen entschiedenen Systemwandel in der Milcherzeugung. Ein Kommentar.

Milchglas (c) Alberto Peroli.jpgNein, dieses Mal ist es nicht der Trinkmilchpreis, der die Milchbäuer*innen und die Milchbranche hart trifft. Aldi, der Preisführer für Trinkmilchpreise, hatte Mitte März sogar noch versprochen für Trinkmilch künftig einen besseren Preis zu bezahlen. Auch bei Butter und Käse zeigten sich die Verhandlungen mit dem Handel positiv. Es ist der Shutdown der Corona-Krise, der die Bäuer*innen und eine Milchbranche mit voller Wucht trifft. Eine Branche, die sich beharrlich weigert, für Krisen vorzusorgen.

Auf den Terminbörsen und im Großhandel stürzten Mitte März die Preise, rissen den Spotmarktpreis für Milch ins Bodenlose. Und dieses Überangebot an Milch hat wenig mit den jedes Frühjahr als Folge von Abkalbungen steigenden Milchlieferungen zu tun. Gleichzeitig bricht der Absatz weg und nicht nur durch geschlossene Gastronomiebetriebe und Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung. Der Export stockt. Arbeitskräfte fehlen. Die Quarantäne blockiert Lieferketten und es fehlt an Verpackungen. Ware kommt europaweit nicht ans Ziel und Molkereien sehen sich gezwungen das Angebot an Frischprodukten zu reduzieren und immer mehr Rohmilch zu Milchpulver zu verarbeiten.[1] Molkereien gehen ihrerseits dazu über, ihre Lieferant*innen aufzufordern, weniger Milch zu liefern.

Über ein Jahr lang hatte die Milchbranche um eine Sektorstrategie gerungen, die die Branche zukunftsfähig machen sollte. Unter Ausklammerung der Vorschläge des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) legt diese das Mengenmanagement in die Verantwortung der Marktakteur*innen. Kaum zeigt die Krise ihr Gesicht, schon rufen der Deutsche Bauernverband zusammen mit dem Milchindustrieverband MIV und der Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner nach Öffnung der subventionierten privaten Lagerhaltung. Der BDM und der European Milch Board EMB lehnen das ab. Und Slow Food Deutschland stimmt ihnen hier zu: Denn die Erfahrung zeigt: Der spätere Abverkauf von teuer eingelagertem Milchpulver und Butter drückt lediglich erneut den Preis auf den Weltmärkten.

Krisenmanagement ersetzt keine langfristige Strategie

Krisenmanagement ist jetzt wichtig und richtig. Die Gemeinsame Marktordnung (GMO) der Europäischen Union gibt ausdrücklich vor, dass im Fall von Marktkrisen – und darum handelt es sich bei der Corona-Krise auch – Regelungen getroffen werden können, um Milchmengen dort zu reduzieren wo sie entstehen: auf den Höfen und den Kühen. Slow Food unterstützt daher die Forderung des BDM, nach einer freiwilligen Mengenreduktion gegen Ausgleichszahlungen – so wie sie in der Milchkrise 2015, wenn auch spät aber dennoch wirksam eingesetzt worden ist. Auch gibt es inzwischen gute betriebliche Erfahrungen mit einer kurzfristigen Reduktion der Milchmenge: Reduzierter Einsatz von Kraftfutter, Verfütterung von Vollmilch an Kälber und auch eine verlängerte Zwischenkalbezeit- sodass keine zusätzlichen Kühe zum Schlachten gebracht werden müssen.

Jedoch warnt Slow Food davor, Krisenmanagement mit einem nachhaltigen Strategiewechsel hin zur Zukunftsfähigkeit der Milchwirtschaft zu verwechseln - weder in Deutschland noch in Europa und auch nicht weltweit. Von Krise zu Krise zu stolpern ist alles andere als nachhaltig. Diese wiederkehrenden Krisen sind kein Schicksal, sondern inhärenter Bestandteil der Logik dieses europäischen Wirtschaftssektors: Erzeugung von Milch unter Kostendruck und in Übermengen für den globalen Handel mit Billigkäse und Milchpulver. Mit den bekannten Folgen eines tiefen Strukturwandels in der Milcherzeugung. Seit 2009 haben 40 Prozent der Milchbäuer*innen das Melken aufgegeben. Die verbliebenen Kuhherden müssen Höchstleistung bringen, Weidehaltung wird zur Ausnahme und aus vielen intensiven Milchkuhhaltungen fließen nun auch Gülleüberschüsse.

Der Fokus muss auf regionalen Versorgungsketten liegen

Die Corona-Krise zeigt die Fragilität dieses Sektors (und noch vielen weiteren mehr)  – gerade hier in Deutschland, dessen Milchbranche auf Export setzt. Wir dürfen diese für Tiere, Menschen und Umwelt zerstörerische Logik nicht mehr hinnehmen und nicht mehr fortsetzen. Schließlich gehören Milch und Milcherzeugnisse zu unserem europäischen Kulturgut. Sie bilden eine der wichtigen Einkommensquellen für bäuerliche Betriebe und Verarbeiter*innen. Vor allem auch sind sie ein wertvolles Grundnahrungsmittel. Die aktuelle Corona-Krise führt uns zu deutlich vor Augen, dass wir die folgende Wahrheit nicht vergessen dürfen: Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln darf nicht internationalen Lieferketten überlassen werden. Sie muss – so weit wie möglich – lokal, regional und mindestens überschaubar bleiben. Erstaunlicherweise hat ausgerechnet Danone-Chef Emmanuel Faber in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) am 14. April 2020 davor gewarnt, zu alten Rezepten zurückzukehren, um die möglichen, durch die Corona- und Weltwirtschaftskrise ausgelösten, Hungernöte zu lindern. Heute gehe es um nachhaltige Wachstumsmodelle, um die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele und vor allem um eine Rückbesinnung auf lokale Produktion.[2]

Resilienz in der Milchwirtschaft ist möglich

Was wir also dringend benötigen ist eine zukunftsfähige und damit resiliente Milchwirtschaft. Wie sieht die aus? Die Produktion muss sich an der Nachfrage ausrichten. Stattdessen aber waren bereits in der Milchquote 1984 20 Prozent Überproduktion eingeplant, um mit europäischer Milch die Weltmärkte zu „bedienen“. Dieser Logik, die Slow Food vollkommen widerstrebt, können wir nur dann entgegentreten, wenn wir sie auf der untersten Ebene – und das heißt bei unseren Milchkühen beginnend –durchbrechen: Gebt Kühen das zu fressen, was auf den Betriebsflächen erzeugt werden kann und schickt sie, wo es möglich ist, dazu auf die Weide! Und wo es nicht möglich ist, müssen wir uns dafür einsetzen, dass selbst angebautes Futter in den Trog kommt. Kein Soja aus Übersee! Kein negativer CO2-Fußabdruck! Keine Gülleüberschüsse! Weniger Milch pro Jahr! Alle profitieren davon!

Die Ernährung der Tiere mit Gras und Klee sowie ein nachhaltiges Weidemanagement bedeuten Verzicht auf Hochleistung. 5.000 bis 6.000 Liter statt 10.000 Liter pro Kuh und Jahr würde doch ausreichen. Dafür leben die Kühe länger, bleiben gesünder und bei der erzeugten Milch können wir dann auch wieder von Qualität sprechen. Beweidung fördert Biodiversität und erhält unsere Kulturlandschaften. Sie ist auch eine wichtige Maßnahme für den Klimaschutz, denn durch nachhaltige Beweidung tragen Rinder zur Bildung von Humus und so zur Speicherung von CO2 im Boden bei.

Und wenn es dann immer noch zu viel Milch gibt? Warum erhalten dann nicht alle Kälber Vollmilch statt Milchaustauscher (welch ein Unsinn angesichts der Überschüsse). Auch könnten sie in der ersten Lebenszeit mit der Mutter zusammen bleiben (muttergebundene Kälberaufzucht). Das ist keine reine Zukunftsmusik – viele Betriebe praktizieren das bereits. Sie verzichten auf Umsatz und erhalten ein stabileres, nachhaltigeres System der Milcherzeugung.

Ein Systemwandel, der sich auszahlt

In unserer letzten Studie zur „Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft“ konnten wir an vielen Praxisbeispielen zeigen, dass eine solche grundfutterbasierte und leistungsreduzierte Milcherzeugung nicht nur möglich ist, sondern auch ökonomisch sein kann sowie – was heute wichtig ist – gesellschaftlich gesehen keine Überschüsse erzeugt.

Wir benötigen nichts weniger als einen entschiedenen Systemwandel in der Milcherzeugung. Und Slow Food sieht sehr wohl, dass unser gesamtes Ernährungssystem nicht nachhaltig ist und wir als Verbraucher*innen darin eine große Rolle spielen und Verantwortung haben. Dies schließt ein, dass Verbraucher*innen auch lokale Milchbetriebe und Milchverarbeiter*innen unterstützen und diese wiederum durch den direkten Austausch ihre Erzeugung auf die Kund*innenwünsche hin ausrichten. Auch müssen wir weg vom Image der Milch als ‚Ramschprodukt‘, das billig in Massen gekauft und konsumiert werden kann. Es braucht mehr und echte Wertschätzung und einen reduzierten Genuss von qualitativ guter Milch, was sich durchaus in einem entsprechend höheren Preis widerspiegeln kann, darf und sollte.
Slow Food sieht es daher als seine Aufgabe an, die Verbraucher*innen in diesem Sinne aufzuklären, zu überzeugen und zu motivieren. Das ist unsere Aufgabe in der nun anstehenden Transformation unseres gesamten Ernährungssystems.

***

Text: Andrea Fink-Kessler

[1] Olaf Zinke (2020): Milchmarkt und Corona: Erdbeben mit Folgen. In: agrarheute.com vom 15.4.2020.

[2] Christian Schubert: „Die Corona-Krise kann zu Hungersnöten führen. Der Danone-Chef warnt im Gespräch mit der FAZ vor Verwerfungen auf der ganzen Welt". In FAZ vom 14. April 2020, S. 22.

Inhaltspezifische Aktionen