Pflanzenbetont essen

Der Übergang zu gesunden, biodiversitäts- und klimafreundlichen Ernährungsmustern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der nächsten Jahre. Sie erfordert sowohl individuelle als auch staatliche Maßnahmen und erntet in aktuellen Diskussionen um die Ernährungswende wachsenden Zuspruch. Weil immer mehr Menschen begreifen, dass es keine andere Lösung gibt. Um unsere Ernährung im Rahmen der planetaren Grenzen zukunftsfähig, naturnah und vielfältig zu gestalten, müssen wir den Schwerpunkt fortschreitend von tierischen Lebensmitteln auf solche mit pflanzlichem Ursprung verlegen. Pflanzenbetont essen bedeutet, sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich von pflanzlichen Lebensmitteln (z.B. Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst) und pflanzenbasierten Lebensmitteln und Speisen (z.B. Brot, Gemüsesuppen, Aufläufe) zu ernähren. Es bedeutet auch, dass wir uns neue geschmackliche Horizonte für unser Essen erschließen.

Rote Bohnen (c) pixabay.jpg1. Was genau ist eine pflanzenbetonte Ernährung?

Bei einer pflanzenbetonten Ernährungsweise spielen pflanzliche Erzeugnisse mengenmäßig die Hauptrolle. Ihre Vielfalt steht im Mittelpunkt des Kochens und Essens. Die Gerichte bestehen also zu einem großen Teil aus essbaren Pflanzenteilen in roher, frisch zubereiteter oder gering verarbeiteter Form. Auch Lebensmittel aus handwerklicher Herstellungsweise mit nachhaltig erzeugten Grundprodukten gehören zum Speiseplan, etwa Brot, Teigwaren, Aufstriche etc. Auch bei einer überwiegend pflanzlichen Ernährung entsteht in Erzeugung und Verarbeitung nicht direkt menschlich verwertbare Biomasse, die Nutztieren als Futter dienen kann. Und in der Beweidung von Grünland, das oft ungeeignet für den Anbau von Pflanzen ist, liegt eine wichtige Ökosystemdienstleistung. Artgerecht gehaltene Tiere sind daher weiterhin wertvoller Teil einer zukunftsfähigen Landwirtschaft, in der die tierische und die pflanzliche Produktion und Verwertung zusammenwirken. Eine pflanzenbetonte Ernährung kann damit einen bewussten und maßvollen Genuss nachhaltig erzeugter tierischer Lebensmittel grundsätzlich mit einschließen – im Unterschied zum Veganismus, der tierische Erzeugnisse in allen Bereichen des Lebens strikt ablehnt. Somit geht das Wissen um die Zubereitung traditioneller regionaler Rezepturen mit tierischen Zutaten nicht verloren. Ihr Genuss sollte allerdings seltener und in kleineren Portionierungen tierischer Anteile erfolgen.

2. Wie trägt eine pflanzenbetonte Ernährung zur Planetengesundheit bei?

Mit unseren Essensentscheidungen können wir einen positiven Beitrag zur Planetengesundheit sowie zu unserer eigenen Gesundheit leisten. Einen wichtigen Orientierungspunkt bietet die sog. „Planetary Health Diet“, mit der die EAT-Lancet-Kommission Empfehlungen mit Blick auf eine wachsende Weltbevölkerung vorgelegt hat, die vorwiegend pflanzliche und nur in sehr geringen Mengen tierische Lebensmittel beinhalten. 80 Prozent unserer Nahrungsaufnahme sollte bis 2050 pflanzlich sein, und zu mehr als der Hälfte aus Gemüse bestehen. Mit diesem Speiseplan könnte auch eine wachsende Weltbevölkerung satt werden.

Das Hauptmotiv einer pflanzenbetonten Ernährung liegt auch für Slow Food im Respekt der planetaren Belastungsgrenzen, und insbesondere im Biodiversitäts- und Klimaschutz. Ein weiterer Beweggrund sind die Gesundheit und der Schutz von Tieren, die sich keineswegs mit der überbordenden Menge an Tierischem aus industriellen Haltungsformen vereinen lassen. Die tierbetonte, zu einem Großteil auf industriellen Methoden beruhende Ernährungsweise der letzten Jahrzehnte hat zu einer Übernutzung vorhandener Ressourcen mit höchst problematischen Folgen für Mensch, Tiere und Umwelt geführt. Wenn wir wollen, dass alle Menschen gesund und ökologisch nachhaltig ernährt werden, muss sich unser Menüplan künftig in erster Linie darauf konzentrieren, was Boden, Pflanzen und Tiere der Region in einer ökologisch und sozial verantwortungsvollen sowie tiergerechten Zusammensetzung hergeben. Und wir müssen wieder Wert auf regionale Kreisläufe und Infrastrukturen mit kleinen und mittleren Handwerksbetrieben und Verarbeitungsstätten legen, sie fördern. Sie sind es, die unsere Versorgung und das Wissen regionaler Möglichkeiten sichern.

3. Welche Vielfalt an Pflanzen kann man essen?

1099.01.01_Tomatenvielfalt_Stefan Abtmeyer.jpgDie Pflanzenwelt hält eine Vielzahl an kulinarischen Schätzen bereit, die nur darauf warten, gehoben zu werden: Von den rund 6.000 Pflanzenarten, die zur Ernährung angebaut werden, tragen aktuell weniger als 200 wesentlich zur weltweiten Nahrungsmittelproduktion bei. Nur neun Arten machen 66 Prozent der gesamten Pflanzenproduktion aus. Die Wahl der Lebensmittel hat einen großen Einfluss auf biologische und kulturelle Vielfalt und auf die Klima- und Umweltauswirkungen unserer Ernährung. Aus Sicht von Slow Food bringt der Wandel unserer Ernährungskultur hin zu „mehr Pflanze“ eine enorme Bereicherung mit sich: Für Form und Farbe auf den Tellern, Geschmacksnuancen am Gaumen ebenso wie im Miteinander zwischen Menschen aus den Bereichen Erzeugung, Lebensmittelhandwerk, Gastronomie, Handel und den Verbraucher*innen. Die Wiederentdeckung und -verwendung der Biodiversität von Obst-, Getreide- und Gemüsesorten, der Hülsenfrüchte, Nüsse, Kerne und Beeren bringt ökologisch und kulinarisch gleichermaßen Wertvolles in unsere Küchen.

4. Auf welche Qualität sollte man achten?

Der Fokus einer pflanzenbetonten Ernährung sollte auf frischen, nachhaltig, d.h. möglichst ökologisch erzeugten und regional-saisonalen Grundzutaten liegen. Pestizide, Monokulturen oder chemische Düngemittel schaden der Biodiversität und stehen aus diesem Grund für eine ungesunde Erzeugung. Stattdessen sollten pflanzliche Lebensmittel in Kreisläufen und Fruchtfolgen entstehen. Auch gering verarbeitete Lebensmittel (z. B. getrocknetes oder fermentiertes Obst und Gemüse) behalten viele ihrer positiven Eigenschaften bei. Für Slow Food bedeutet eine pflanzenbetonte Ernährungsweise nicht, Fleisch und andere tierische Erzeugnisse durch hochverarbeitete Imitate wie Ersatz-Schnitzel und -Käse zu ersetzen. Denn hier sind Zutaten und Prozesse oft industrieller „Natur“: Grunderzeugnisse anonymer Herkunft, chemische Hilfsmittel, gleichbleibender Geschmack. Beim Wunsch nach „Ersatz“ aber gibt es durchaus Produkte, die Verbraucher*innen den Übergang zu einer pflanzenbetonten Kost erleichtern können. Aus unserer Sicht eignet sich dafür handwerklich und nachhaltig Hergestelltes aus Getreide oder Hülsenfrüchten, was ohne technologische Hilfs- und Zusatzstoffe und zugesetzte Aromastoffe auskommt.

5. Ich möchte mehr Pflanzliches in meinen Speiseplan integrieren – wie fange ich damit an?

6000.03.01.29_Chili 2012_Gisela Bautz.JPGDie Entscheidung zu treffen ist der erste und wichtigste Schritt. Dann geht es darum, die Vielfalt in der eigenen Region (wieder) zu entdecken: Was wächst und gedeiht im eigenen Umfeld? Dabei unterstützen z.B. Saisonkalender. Wer die Informationen aus erster Hand derer, die für die Lebensmittel sorgen, erhalten möchte, sucht das Gespräch mit Landwirt*innen und (Markt-)Händler*innen sowie mit Lebensmittelhandwerkern und Köchinnen der eigenen Region. Der Zugang zur Vielfalt wird durch den persönlichen Draht vereinfacht. Den finden Interessierte auch in den Slow-Food-Convivien, den knapp 90 Regionalgruppen. Slow Food informiert regelmäßig über Zubereitungstipps auf der Webseite, im Slow Food Magazin sowie über Social Media. Immer mehr Rezepte locken mit Gerichten, die wenig oder nichts Tierisches beinhalten. Auch Netzwerke, wie das der Chef Alliance, bieten Verbraucher*innen Orientierung.

6. Was muss die Landwirtschaftspolitik für eine pflanzenbetonte Zukunft tun?

Es ist an der Politik, die passenden Rahmenbedingungen für eine pflanzenbetonte Zukunft zu schaffen, angefangen bei der Erzeugung. Mehr als die Hälfte der Ackerfläche in Deutschland dient aktuell dem Anbau tierischer Futtermittel. Sie muss schrittweise der direkten menschlichen Ernährung zugeführt werden. Entsprechende Anreize in Form agrarpolitischer Fördermöglichkeiten müssen gezielt für den Anbau pflanzlicher Ernährung im Freiland genutzt werden. Beispielsweise stammt der aktuelle Verzehr von Gemüse nur zu 37 Prozent aus Deutschland, der Rest sind Importe. Finanzielle Förderung muss sich auf den umwelt- und klimaschonenden Anbau und die Vermarktung von heimischem Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen beziehen, einschließlich einer Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Aus- und Fortbildung auf ökologische Anbauformen.

Unsere aktuelle Produktionsweise und Produktionsmenge tierischer Erzeugnisse ist einer der Hauptgründe für die globale Umweltzerstörung, landwirtschaftlich bedingte Treibhausgasemissionen und den Verlust an Artenvielfalt. Sie gefährdet die menschliche Gesundheit, beispielsweise durch die Entwicklung multiresistenter Bakterien in der industriellen Tierhaltung. Daher muss der Abbau der Nutztierbestände aus industrieller Haltung zügig in die Wege geleitet werden, ebenso wie der Umbau von Betrieben auf ökologisch nachhaltige und tiergerechte Erzeugungsformen, zielend auf ein ganzheitliches Weidemanagement mit einer flächengebundenen, artgerechten Fütterung ohne Futterimporte.

7. Und wie müssen sich unsere Ernährungsumgebungen ändern?

Die Umstellung auf eine pflanzenbetonte Ernährung allein auf das vorhandene Potenzial der einzelnen Verbraucher*innen abzustellen, würde diese teils überfordern und zu erheblichen bildungs- und kaufkraftbedingten Ungleichheiten in der Bevölkerung führen. Wie inzwischen vielfach wissenschaftlich belegt ist, werden Ernährungsstile und Verbraucherverhalten jenseits individueller Voraussetzungen maßgeblich von Ernährungsumgebungen mitbestimmt: den strukturellen Faktoren, die allen Ernährungsentscheidungen und -gewohnheiten zugrunde liegen. Sie können das Konsumverhalten und insbesondere die Entscheidung für oder gegen eine pflanzenbetonte Ernährung und nachhaltige Erzeugnisse stark beeinflussen. Es ist also Aufgabe des Staates, nicht nur die Verfügbarkeit von Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs zu fördern, sondern auch die Nachfrage zu steuern, indem pflanzliche und pflanzenbasierte Lebensmittel für Verbraucher*innen erreichbar und bezahlbar, sprich innerhalb ihrer lokalen Infrastruktur zu einer „leichten Wahl“ werden. Gefördert werden müssen auf Seiten der Verbraucher*innen auch die Wertschätzung und das Wissen um die Entstehung, Wertschöpfung und und Zubereitung unserer Nahrungsmittel. Eine Bewusstseins- und Ernährungsbildung muss Menschen in einem praxisorientierten Ansatz zu Eigenverantwortung, ganzheitlicher Ernährungskompetenz und souveränem Ernährungshandeln befähigen: beispielsweise durch das Kochen in Schulen. Bildungsangebote für Privathaushalte und die frische Zubereitung pflanzenbetonter Gerichte in der Gemeinschaftsverpflegung sind weitere wichtige unterstützende Maßnahmen.

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>> Detaillierte Informationen zu den Wertschöpfungsketten verschiedener Lebensmittelgruppen im Vergleich finden Sie in der Slowpedia

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